Einleitung
Die EU-Wassergesetzgebung ist ein wichtiger Bereich der Umweltrechtsstreitigkeiten. Die große Zahl der vor den Gerichtshof gebrachten Fälle ist keine Überraschung; das EU-Umweltrecht ist ein Bereich, in dem die Zahl der Verstöße und der Beschwerden hoch ist. Die zahlreichen Versäumnisse der Mitgliedstaaten bei der Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus den Wasserrichtlinien und anderen damit verbundenen Rechtsvorschriften ergeben, sind daher zu beklagen. Darüber hinaus hat das EU-Wasserrecht, wie auch andere EU-Umweltvorschriften, die Form von Richtlinien, die in nationales Recht umgesetzt werden müssen. Mehrere vor dem Gerichtshof anhängig gemachte Rechtsstreitigkeiten betreffen die nicht fristgerechte, unvollständige oder fehlerhafte Umsetzung von Richtlinien. Infolgedessen stützen sich die vor einem nationalen Gericht anhängig gemachten Rechtsstreitigkeiten häufig auf das nationale Recht zur Umsetzung von EU-Richtlinien und werden mit diesem begründet. Es gibt natürlich Situationen, in denen sich ein nationales Gericht auf das EU-Recht als solches beruft, z. B. wenn eine Richtlinie nicht umgesetzt wurde, wenn eine nationale Bestimmung zur Umsetzung von EU-Recht ausgelegt werden muss oder wenn ihre Rechtmäßigkeit nach EU-Recht in Frage gestellt wird. Die Zunahme von Umweltstreitigkeiten vor den Gerichten ist je nach Rechtssystem unterschiedlich, spiegelt aber einen allgemeinen Trend wider, wie die Klimastreitigkeiten zeigen.
Die Einzigartigkeit des Rechtsprechungssystems der EU ist weithin bekannt als das System der Überwachung der Durchführung des EU-Rechts mit der Schlüsselrolle der Europäischen Kommission "unter der Kontrolle des Gerichtshofs" (Artikel 17 EUV). Während der Gerichtshof also "für die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträge Sorge trägt", sorgen die Mitgliedstaaten auch "für Rechtsbehelfe, die einen wirksamen Rechtsschutz in den Bereichen des Unionsrechts gewährleisten" (Artikel 19 EUV). Dieses komplexe System von Rechtsbehelfen beruht auf einem dezentralen Justizmodell, bei dem die nationalen Gerichte die wichtigsten Garanten (gemeinsame Richter des EU-Rechts) für die Wirksamkeit des Rechtsschutzes und des EU-Rechts sind.
Mehr als 85 % der Fälle, mit denen der EuGH im Bereich des Wasserrechts befasst wird, gehen darauf zurück, dass die Europäische Kommission Vertragsverletzungsverfahren gegen Mitgliedstaaten einleitet, die ihren EU-Verpflichtungen nicht nachgekommen sind. Die einzelstaatlichen Gerichte legen dem Gerichtshof zunehmend Fragen zur Auslegung der EU-Wasserrechtsvorschriften, aber auch zur Verknüpfung von Wasserrechtsvorschriften mit anderen Umweltvorschriften zur Vorabentscheidung vor. Die Kenntnis der verschiedenen Urteile des Gerichtshofs kann daher für die nationalen Gerichte bei der Beilegung ihrer Streitigkeiten sehr nützlich sein (A). Mehrere Urteile nationaler Richter verweisen daher auf die Urteile des EuGH. Eine Analyse der Rechtssachen im Zusammenhang mit Vorabentscheidungsersuchen bietet einen Einblick in die Probleme, mit denen die nationalen Richter konfrontiert sind, und zeigt, wie wichtig die Zusammenarbeit in der Rechtsprechung ist (B). Die Eurobarometer-Umfragen zeigen regelmäßig, dass die europäischen Bürger ein hohes Maß an Umweltbewusstsein haben. Im Bereich der Wasserproblematik kam dieses hohe Bewusstsein der Bürger insbesondere während der europäischen Bürgerinitiative Right2Water (der ersten erfolgreichen europäischen Bürgerinitiative im Jahr 2013) oder während der öffentlichen Konsultation im Zusammenhang mit dem Fitness-Check der Wasserrahmenrichtlinie und der Hochwasserrichtlinie im Jahr 2019 zum Ausdruck. Die Mobilisierung der Bürger und die aktive Beteiligung von Nichtregierungsorganisationen spiegeln sich auch in den Gerichten wider. Bürger und mehrere Umweltverbände entwickeln eine Prozessstrategie, um die EU-Wassergesetzgebung durchzusetzen und die Einhaltung ihrer Rechte nach EU-Recht und der Aarhus-Konvention einzufordern. In Anbetracht der derzeitigen restriktiven Bedingungen für den Zugang der Öffentlichkeit zum EuGH und der Unmöglichkeit, vor dem EuGH Klage gegen die Mitgliedstaaten wegen Nichterfüllung der EU-Verpflichtungen zu erheben, wenden sich die Bürger und NGOs jedoch zwangsläufig an ihre nationalen Gerichte (C).