Verfahren vor dem Gerichtshof
Das Vorabentscheidungsverfahren: Erheblichkeit der Fragen
Grundsätzlich müssen alle Fragen für den Ausgang des vor dem innerstaatlichen Gericht anhängigen Verfahrens erheblich sein. Der EuGH ist jedoch der Auffassung, dass grundsätzlich nur das vorlegende Gericht die Notwendigkeit der Fragen beurteilen und ihren Gegenstand bestimmen kann. Daher wird der EuGH die Zulässigkeit einer Frage nur unter außergewöhnlichen Umständen prüfen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn das dem Gerichtshof vorgelegte Problem rein hypothetischer Natur ist oder wenn die Auslegung einer Gemeinschaftsvorschrift, um die das nationale Gericht ersucht, in keinem Zusammenhang mit dem tatsächlichen Sachverhalt des Ausgangsverfahrens oder dessen Zweck steht (Rechtssache C-415/93 Bosman, Randnr. 61; Rechtssache C-466/04 Acereda Herrera, Randnr. 48; Rechtssache C-380/05 Centro Europa, Randnr. 53; Verbundene Rechtssachen C-188/10 und C-189/10 Melki und Abdeli, Randnr. 27).
Das Vorabentscheidungsersuchen muss den rechtlichen und sachlichen Hintergrund des innerstaatlichen Verfahrens sowie die Fragen des nationalen Gerichts enthalten. Es sollte auch angeben, warum die Antwort für die Entscheidung des innerstaatlichen Verfahrens für notwendig erachtet wird. Das innerstaatliche Gericht kann auch seinen Standpunkt zu den Fragen des Unionsrechts darlegen und eine Antwort vorschlagen.
Das Vorabentscheidungsersuchen und die einschlägigen Übersetzungen oder Zusammenfassungen werden den Parteien vor den nationalen Gerichten sowie den in Artikel 23 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs der Europäischen Union genannten interessierten Parteien, d.h. allen Mitgliedstaaten, dem Parlament, dem Rat und der Kommission sowie in einigen Fällen den Staaten des EWR und der EFTA-Überwachungsbehörde, übermittelt. Sie können innerhalb von zwei Monaten Bemerkungen in ihrer eigenen Sprache einreichen. Der EuGH kann eine Anhörung einberufen.
In den meisten, jedoch nicht in allen Vorabentscheidungsverfahren wird es Schlussanträge eines Generalanwalts geben, die veröffentlicht werden, bevor der EuGH über die Sache berät. Der EuGH kann in Kammern mit drei, fünf und fünfzehn Richtern sowie im Plenum entscheiden.
Der Gerichtshof kann ein beschleunigtes Verfahren und – in bestimmten Bereichen – ein noch schnelleres Eilverfahren anwenden. Diese Verfahren kommen jedoch nur sehr selten und bisher nicht in Umweltsachen zur Anwendung. Normalerweise erwartet der EuGH von den nationalen Gerichten, dass sie in dringenden Sachen einstweilige Maßnahmen erlassen. Die große Zahl von Personen oder rechtlichen Situationen, die von der Entscheidung, die ein vorlegendes Gericht zu treffen hat, nachdem es den EuGH zur Vorabentscheidung angerufen hat, betroffen sein könnten, kann als solche keinen außergewöhnlichen Umstand darstellen, der die Anwendung eines beschleunigten Verfahrens rechtfertigen könnte (siehe Beschlüsse des Präsidenten des Gerichtshofs in den verbundenen Rechtssachen C-283/06 und C-312/06 KÖGÁZ u.a., Randnr. 9; in Rechtssache C-368/06 Cedilac, Randnr. 7; in Rechtssache C-201/08 Plantanol, Randnr. 10; in Rechtssache C-317/04, Parlament gegen Rat, Randnr. 13).
In der Rechtssache C-240/09 Lesoochranárske zoskupenie (Beschluss) betreffend den Schutz des slowakischen Braunbären wurde der EuGH von dem nationalen Gericht über mehrere Verwaltungsverfahren informiert, die von verschiedenen Jagdvereinigungen oder anderen Personen veranlasst worden waren und die Gewährung von Ausnahmen von der Artenschutzregelung betrafen. Wenn die Ausnahmen gewährt würden, würden sie zur Tötung der Braunbären und zum Einsatz von Chemikalien in Naturschutzgebieten führen. Der EuGH gelangte jedoch zu dem Schluss, dass das vorlegende Gericht in Bezug auf die Gefährdung des Eigentums oder der Gesundheit von Personen in keiner Weise deren Form und Ausmaß spezifiziert und nicht angibt, inwiefern eine sehr kurzfristige Entscheidung des EuGH erforderlich wäre, um die Risiken zu vermeiden, die entstehen würden, wenn das Verfahren dem normalen Ablauf folgt, oder warum diesbezüglich auf nationaler Ebene keine vorläufigen Maßnahmen ergriffen werden könnten. Daher wurde dem Ersuchen, die Sache einem beschleunigten Verfahren zu unterwerfen, nicht stattgegeben.