Allgemeine Grundsätze
Unmittelbare Wirkung
Der Grundsatz der unmittelbaren Wirkung ermöglicht es Einzelpersonen, sich vor dem nationalen Gericht unmittelbar auf eine Bestimmung des Unionsrechts zu berufen, unabhängig davon, ob eine Prüfung des nationalen Rechts vorliegt. Ist der nationale Richter nicht in der Lage, nationales Recht in Übereinstimmung mit den Anforderungen des Unionsrechts auszulegen, muss er prüfen, ob eine unmittelbare Anwendbarkeit des Unionsrechts möglich ist. Auf diese Weise gewährleistet der Grundsatz der unmittelbaren Wirkung die Anwendung und Wirksamkeit des Unionsrechts für den Fall, dass die Mitgliedstaaten zögern, es korrekt umzusetzen. Und als Konsequenz trägt dies dazu bei, die Rechte des Einzelnen zu schützen.
Das Primärrecht der EU hat unmittelbare Wirkung, wenn die jeweilige Verpflichtung eindeutig, klar und uneingeschränkt ist und keine zusätzlichen Maßnahmen erfordert. Die EU-Verordnungen haben immer unmittelbare Wirkung (siehe Art. 288 AEUV). Eine Richtlinie hat unmittelbare Wirkung, wenn ihre Bestimmungen uneingeschränkt und hinreichend klar und eindeutig sind, und wenn der Mitgliedstaat die Richtlinie nicht fristgerecht umgesetzt hat. Sie kann jedoch nur unmittelbare vertikale Wirkung haben (Richtlinien können vom Mitgliedstaat nicht einer Einzelperson entgegengehalten werden). Beschlüsse können unmittelbare Wirkung haben, wenn sie sich auf einen Mitgliedstaat als Adressaten beziehen (nur unmittelbare vertikale Wirkung).
Der EuGH befasst sich mit dem Konzept der unmittelbaren Wirkung im Bereich des Umweltschutzes, um nicht nur den Schutz der betroffenen Personen zu gewährleisten, sondern auch die wirksame Durchsetzung des Unionsrechts zu ermöglichen. Die Umweltrichtlinien gewähren dem Einzelnen selten ausdrücklich Rechte, aber wenn sie Grenzwerte zum Schutz der menschlichen Gesundheit festlegen, dann verleihen sie – so der EuGH – den Betroffenen auch ein einklagbares Recht auf Einhaltung dieser Grenzwerte (Rechtssache C-59/89 Kommission gegen Deutschland). Es wäre mit der einer Richtlinie zuerkannten verbindlichen Wirkung unvereinbar, grundsätzlich auszuschließen, dass sich betroffene Personen auf die durch eine Richtlinie auferlegte Verpflichtung berufen können (Rechtssache C-243/15 Lesoochranárske zoskupenie VLK, Randnr. 44).
Daher können sich die Betroffenen, einschließlich der Umwelt-NGOs, in den Entscheidungsverfahren auf die EU-Richtlinien berufen, wenn die Richtlinien dies erfordern, oder vor den nationalen Gerichten. Sie gelten als Beteiligte oder Kläger, ungeachtet völlig fehlender oder übermäßig restriktiver nationaler Vorschriften zum locus standi.